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EINLEITUNG INE das Gesamtgebiet umfassende Geschichte des Möbels muß dem Leser von vornherein die Grenzen angeben, in die der weitläufige Stoff eingespannt werden soll; sie muß von Anfang an auch die Gesichtspunkte klarlegen, nach denen aus dem reichen Material eine Auswahl vorgenommen wird. Begrenzung und Auswahl sind bei der Unerschöpflichkeit des Themas selbstverständliche Voraussetzung. Die örtliche und zeitliche Begrenzung ist notwendig. Nur die Entwicklung des europäischen Möbels vom Mittelalter bis zur Neuzeit ist ausführlich beschrieben. Auch das amerikanische Möbel ist als Ableger des europäischen anzusehen. Die Möbel der außereuropäischen Kulturen sind nur dann berücksichtigt, wenn sie den großen Zusammenhang klären. Über das antike Möbel, das bloß in Fragmenten er- halten ist, gibt in erster Linie die Archäologie Aufschluß. Es ist hier in einem Ausblick gestreift, der die antiken Formen in das Blickfeld rückt, die für das Ver- ständnis det späteren Entwicklung notwendige Voraussetzung sind. Eine stoffliche Begrenzung ist notwendig. Nicht alle Arten des Möbels können aus- führlich behandelt werden. Das kirchliche Mobiliar ist mit Absicht ausgeschaltet, weil es doch mehr in eine Geschichte der Skulptur und der Architektur gehört. Es ist kurz erwähnt, wenn die erhaltenen kirchlichen Möbel die einzigen Reste einer Pe- riode sind, und wenn die Formen des kirchlichen Mobiliars zur Erklärung eines be- stimmten Typus notwendig sind. Aus dem gleichen Grunde werden auch die Erzeug- nisse der Volkskunst nur manchmal zitiert. In einer Geschichte, die die großen Linien der Entwicklung aufzeigen will, haben die Provinzialismen, die verspäteten Nachläufer einer höheren Kultur, die Petrefakte einer einmal gefundenen Zweckform nichts zu tun. Thema des Buches ist das Hausmöbel im engeren Sinne, nicht das gesamte Mobiliar. Thema ist nicht die Geschichte des Möbels bei den einzelnen Nationen, sondern die Geschichte des Möbels unter Berücksichtigung der Nationen, die selbständige und folgewichtige Beiträge zur Entwicklung gegeben haben. Jede der großen Kultur- nationen tritt in einer bestimmten Periode ihrer Geschichte in den Vordergrund. Es gibt zu denken, daß diese Höhepunkte mit den künstlerischen Blütezeiten zusammen- fallen. Möbel dienen den Bedürfnissen des Lebens. Die Bedürfnisse wechseln. Sie ent- stehen aus persönlichen Ansprüchen, die sich bewegen zwischen den Extremen ein- facher Zweckmäßigkeit und schwelgerischer Bequemlichkeit, bestimmter Sachlichkeit und prunkvoller Überladenheit, schmucklosen Bedürfnisses und repräsentativer Auf- machung. Sie sind gebunden an soziale Rücksichten, an Forderungen der Gesellschaft, sie sind abhängig von Voraussetzungen der nationalen Kultur, von Sitte, Tracht, Wohnung, sie sind bedingt von der Zeit, die immer einen Normalweg vorschreibt. Von diesen mehr kulturellen Faktoren wollen wir hier weniger reden. Sie mÜssen gestreift werden, aber sie bilden nicht das eigentliche Thema. Sie entscheiden über den Grad des materiellen Wertes, über Einfachheit und Kostbarkeit; aber sie entscheiden nicht über die künstlerische Form. Nur die Zweckform wird aus Material und Technik geboren. Zweck und Technik aber lassen unendliche Möglichkeiten der Formung des Materials offen. Wie viele Möglichkeiten des Ausdrucks geben schon die Proportio- nierung, der Grad der Artikulation, die Linienführung. Die Entwicklung der Kunst- form ist von anderen Faktoren abhängig. Die Kunstform des Möbels wird von an- deren Gesetzen diktiert. Sie wechselt nach den gleichen Rhythmen wie die große Kunst. Sie ist ein Teil des größeren Formenkomplexes, den man mit dem Wort Stil zusammenfaßt. Die Geschichte der Kunstform des Möbels ist ein Teil der allgemeinen Formengeschichte. Diese Kunstform ist beim Möbel keine freie Form, weil sie an einen Zweck gebunden ist; aber sie stellt ebenso Ansprüche an Phantasie und Ge- staltungskraft, wie die Form der Architektur, zu der das Möbel als Teil der Ausstat- tung des Innenraumes gehört. Sie kann sich einer ideellen Zweckform nähern, und sie kann sich mit ihr in Widerspruch setzen. Der Gegensatz oder das Zusammenspiel von Zweckform und Kunstform bildet den eigentlichen Inhalt einer Kunstgeschichte des Möbels. Jede Nation, jede Zeit hat darüber anders gedacht. Jede Stilperiode hat aus dem Möbel etwas anderes gemacht. Die eine ein neutrales Gebrauchsgerät, die andere ein architektonisch durchgefühltes Monument, die dritte eine zierlich dekorierte Goldschmiedearbeit. Jeder Stil hat eine bestimmte geistige Haltung, die auch dem Möbel den Ausdruck einprägt. Die Gründe der Veränderung der Kunstform sind in den gleichen Tiefen verankert, wie die Gründe des Stilwandels überhaupt. In diesen Sätzen steckt auch die Antwort auf die Frage: Gibt es überhaupt eine Kunstgeschichte des Möbels? Ist es nicht richtiger, diese vorkünstlerischen Gebiete aus der Kunstgeschichte herauszunehmen und in die Rassegeschichte zu verweisen? Man hat das behauptet. Man sagt, die Entwicklung der europäischen Sitzmöbel sei ein Stück Rassegeschichte und nicht etwa Stilgeschichte, ebenso wie es ein Irrtum gewesen sei, den Bau des Wohnhauses für einen Teil der Baukunst zu halten (Spengler). Man könnte mit der Gegenfrage antworten: Also müssen die Entwürfe der Archi- tekten des 18. Jahrhunderts oder Michelangelos Gestühl der Laurenziana aus der „Kunst"geschichte gestrichen werden? Gewiß sind damit nur extreme Fälle ange- deutet. Aber sie zeigen, welche Richtung wir der Kunstgeschichte des Möbels geben wollen. Die Bedenken gegen diese Gebiete berühren den Typus, sie wenden sich gegen die „Kunstgeschichte" der primitiven Gebrauchsformen, der Zweckformen ohne jede künstlerische Absicht. Diese stehen gewiß außerhalb der Kunst. Sie sind ewig und sie haben keine Entwicklung. Da, wo wir das Bemühen merken, die Zweck- form Zu „gestalten", ihr Ausdruck zu geben, ihr künstlerische Bedeutung zu ver- leihen, ja schon da, wo wir Formen begegnen, die aus dem zweckfreien Wohlgefallen, aus dem Kunstvollen geboren sind, da beginnt die Kunstgeschichte des Möbels. Oder, mit anderen Worten, sie beginnt da, wo die reine Rassegeschichte aufhört. Den Zusammenhang der Geschichte des Möbels mit der allgemeinen Kunstgeschichte zu zeichnen, die verbindenden Fäden bloßzulegen, diese Aufgabe ist hier als wich- tigster Teil des Themas in den Vordergrund gestellt. Danach ist auch die Auswahl der behandelten Werke beschnitten, und aus dieser Aufgabenstellung heraus ist das engere Thema überschritten. Ebenso wichtig wie die erhaltenen Möbel selbst können als Urkunden zu einer Geschichte die Zeichnungen der Künstler sein, die Stiche, die Darstellungen von Innenräumen auf architektonischen Entwürfen, auf Gemälden. Nur aus dem Prozeß der allgemeinen Formentwicklung kann die Entwicklung der Einzel- form eines Möbels verstanden werden. Noch aus einem anderen Grunde sind uns diese Abbildungen wertvoll. Sie geben uns Aufschluß über die Rolle, die dem Möbel ursprünglich im Raume zugedacht war. Die erhaltenen Räume selbst sind in seltenen Fällen einwandfreie Urkunden. Meist müssen sie erst von den Interpolationen einer späteren Zeit gereinigt werden. Wir können also das Thema dieses Buches auch anders formulieren. Wir durch- wandern die Kunstgeschichte auf einem Nebenwege und hoffen auf diesem Seitenpfade Erkenntnisse zu sammeln, die für die Klärung der großen Zusammenhänge von Wichtigkeit sind. […] INHALTSVERZEICHNIS I. EINLEITUNG. 7 II. ALTERTUM . 11 III. MITTELALTER 35 IV. SPÄTGOTIK 67 V. VON DER RENAISSANCE ZUM BAROCK 115 Italien 115 Frankreich 163 Spanien 201 England 221 Nordamerika. 239 Deutschland 249 Holland und Belgien 306 Vl. SPÄTBAROCK. DER STIL LOUIS XIV 333 Frankreich . 333 Deutschland . 367 VII. ROKOKO 393 Frankreich . 393 Italien im 18. Jahrhundert . 471 Deutschland . 489 VIII. DAS ENGLISCHE MÖBEL IM 18. JAHRHUNDERT 549 IX. NORDAMERIKA IM 18. JAHRHUNDERT . 607 X. DER STIL LOUIS XVI. ÜBERGANG ZUM KLASSIZISMUS 619 Xl. KLASSIZISMUS. EMPIRE UND BIEDERMEIER 725 XII. SCHLUSS. DAS 19. JAHRHUNDERT 771 LITERATURANGABEN 777 VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN 782 REGISTER 799 | ||||